Vom Ich zum Ich

„Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.“ Jakobusbrief 5,13-16

Aus der Einsamkeit in die Gemeinschaft – so der Weg unseres kurzen Predigtabschnittes. Da leidet einer am Beginn für sich und es freut sich einer für sich und es ist einer krank für sich. Und dann die entscheidende Wende. Der Kranke ruft. Er ruft die Ältesten und sie kommen und es geschieht Heilung.

Einsamkeit ist Teil unseres Lebens. Sie ist ein wichtiger Teil. Jeder Erwachsene sollte in der Lage sein, mit sich selbst in Freud und Leid unter Lachen und Tränen zurecht zu kommen. Ich bin selbständig. Nun werde ich auch selbst krank, kann aber in unserem Predigtabschnitt nicht selbst gesund werden, weil Krankheit noch eine andere Dimension hat – eine Beziehungsdimension. Wenn wir statt „Krankheit“ einfach einmal „Kränkung“ lesen, wird das deutlich: Kränkungen geschehen ausschließlich in Beziehungen. Und viele Krankheiten wie Rücken- und Magenschmerzen oder zu hoher Blutdruck sind oft körperlicher Ausdruck seelischer Probleme, die aus Beziehungen herrühren. Dass ein Mensch nicht mehr aufrecht steht, ist selten ein ursächlich körperliches Problem. Wir kränken andere Menschen und wir werden gekränkt. Kränkungen gibt es zwischen Eltern und Kindern, zwischen Geschwistern, so man welche hat und zwischen Ehepartnern: Also in engen Beziehungen. Selten gibt es Kränkungen zwischen Großeltern und Enkeln. Außerhalb des Hauses können wir im nahen Umfeld an die Schule denken: Schüler und Schüler und Schüler und Lehrer oder an das Arbeitsumfeld: Pfarrer und Kirchenvorstand. Und darüber könnte ich reden. Ich kann darüber reden wie ich vom Kirchenvorstand gekränkt wurde. Ich kann kaum darüber reden, wie ich den Kirchenvorstand gekränkt habe. Weil wir oft nicht merken, wenn wir andere kränken, sofern wir keine Rückmeldung bekommen. Eine extreme Form der Kränkung wäre das Mobbing: Da wird einer regelrecht ausgeschlossen aus der Gemeinschaft und zum Sündenbock gemacht.

Offensichtlich kann ich eine Kränkung nicht für mich selbst in Ordnung bringen. Ich kann allein in Freud und Leid leben, aber im Fall einer Kränkung brauche ich Dritte, in unserem Bibelabschnitt Älteste, die kommen und die Beziehung richten. Es gibt im Fall einer Kränkung zwei Möglichkeiten. Erstens: Die Kränkung ist so abgrundtief böse, wenn wir etwa an die Verspottung und Geißelung Jesu denken: Da wurde ein Mensch zum Unmenschen gemacht: Da hilft nur Beziehungsabbruch, der häufiger vorkommt als wir denken. In unserer kirchlichen Symbolik sterben wir im Westen mit dem Untergang der Sonne und stehen im Osten mit ihrem Aufgang wieder auf. Und wir schütteln den Staub von den Füßen bevor wir gehen. Ortswechsel. Zweitens: Die Kränkung ist heilbar. Das ist in unserer kirchlichen Symbolik Mitternacht und Mittag, die Mitte in der die Gegensätze zusammenfallen: Ohnmacht und Macht, Lust und Weh, Tod und Leben, Totensalbung und Königssalbung, Norden und Süden. Aber ich kann mich in einer Beziehung nicht selbst ermächtigen, nicht selbst heilen. Ich werde ermächtigt von dritten außerhalb der Beziehung, die die Macht dazu haben. In einer Demokratie gibt es dafür gewählte Gremien wie einen Kirchenvorstand oder eine Synode oder als Pfarrer habe ich qua Ordination Macht. Tertium non datur.

Liebe Gemeinde, es wird nicht viel geredet im Jakobusbrief überhaupt und auch nicht in unserem Predigtabschnitt: Es wird dem Kranken keinerlei Trost zugesprochen. Es gibt keinerlei Ratschläge, die auch Schläge sind und schon gar keine Lösungsvorschläge mit dem Vorschlaghammer. Stattdessen wird gehandelt. Die Salbung stellt Körperkontakt her. Der Kranke wird berührt, angerührt und in der Salbung als Person geehrt. Und das Problem wird im Gebet vor Gott gebracht. Im Gebet wird die Heilung erwartet und mit Öl werden Wogen geglättet. Unser Predigtabschnit macht deutlich welch zentrale Bedeutung Älteste für die Gesundheit der Gemeinde haben, Älteste die für sich und vor Gott gerecht sind. Schweigen ist nicht immer Gold. Manches sollte angesprochen und nicht unter den Teppich gekehrt werden. Aber Schweigen ist meistens Gold, zumindestens im Jakobusbrief wo es das zentrale Qualifikationsmerkmal für einen Ältesten ist. Ältester kann nur ein Mensch werden, der sich selbst zügeln kann. Und die Zügel werden im Jakobusbrief an der Zunge angelegt. Die Zunge ist das Glied, dass den verheerendsten Schaden anrichten kann. Die meisten Kränkungen geschehen mit Worten. Und wenn wir ein Glied zügeln sollen dann die Zunge. Und wenn wir reden dann am besten mit und vor Gott im Gebet. Ein Ältester kann nur ein Mensch sein, der verantwortlich redet und andere nicht beschämt. Wir leben in schwiereigen Zeiten. Das Internet, manche whatsapp-Gruppe ist ein (halb)öffentlicher Pranger, wo verantwortliches Reden nicht mehr vorkommt.

Nach wie vor ist jeder von uns für sich selbst vor Gott verantwortlich und nach wie vor brauchen wir in Gemeinschaft Älteste, die für die Heilung von Kränkungen eintreten können.